Manchmal muss man erst von zu Hause weg, um Wurzeln zu schlagen. So jedenfalls erging es einer australischen Familie, die seit Jahren am Zürichsee lebt und während des Lockdowns ein Appartement im Wallis kaufte: Seit sie ein zweites Zuhause in Saas-Fee haben, fühlen sie sich in der Schweiz viel geerdeter – auch, weil ihr Zufluchtsort auf dem Lande irgendwie am Ende der Welt liegt.
«Für mich ist hier noch immer ganz vieles verkehrt herum», gesteht die Australierin. Seit rund zehn Jahren lebt sie mit ihrer Familie nahe Zürich; sie kamen für den Job des Mannes nach Europa. Ja, es geht ihnen sehr gut – aber ein Gefühl des Verwurzeltseins liess doch lange auf sich warten. Und das lag nicht nur daran, dass die Jahreszeiten für sie einfach in den falschen Monaten passieren. Manchmal einen Ort ganz für sich in der Nähe zu haben, ein Refugium, wo man sich zurückziehen kann – das wünschten sie sich mehr und mehr. «Als dann die Pandemie kam und wir nicht mal mehr nach Australien einreisen durften, war das für uns ganz schlimm.» Doch dann tat sich – irgendwie weit weg, aber immer noch in der Schweiz – eine Chance auf, heimisch zu werden: «Man bot uns diese Ferienwohnung in Saas-Fee an und das fanden wir fast ein bisschen schicksalhaft. Denn das war der erste Ort, an dem wir in der Schweiz Ski gefahren sind.»
Aber zu dieser Zeit erschwerte die Pandemie nicht nur das Reisen nach Australien, sondern auch den Kauf einer Ferienwohnung: Es war schlicht nicht möglich, nach Saas-Fee zu fahren und die Immobilie zu besichtigen. Um die richtige Entscheidung für oder gegen das Dachgeschossappartement in einem ehemaligen Hotel zu treffen, beriet sich das Ehepaar mit Doina Jung und Karin Grossenbacher. Sie betreiben das Innenarchitekturbüro Al Lago Interiors AG und man kannte sich bereits. Denn vor einigen Jahren hatten sie die Familie schon einmal beraten und ihr Wohnhaus ausgestattet. Die Bauherrin erinnert sich: «Ein Schweizer Freund hatte uns damals den Tipp gegeben und wir waren von Anfang an von der Zusammenarbeit begeistert. Sie nahmen sich viel Zeit, um mit uns über unsere Wünsche zu sprechen – und das sogar in fliessendem Englisch.» Ausserdem sei das Studio nur fünf Minuten von Zuhause entfernt. «Es war perfekt.»
Mit der Entscheidung für ein eigenes Ferienappartement tat man sich nicht leicht, erinnert sich Doina Jung: «Sie waren nicht sicher, ob sie es wirklich ausreichend oft nutzen würden.» Man kam recht bald überein, dass man die Wohnung alternativ auch vermieten könnte. «Aber dafür war es wichtig, dass die Einrichtung nicht zu persönlich ist, dazu langlebig und robust. Und trotzdem gemütlich, so dass man es selbst gern nutzen möchte.» Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, die ursprünglichen Pläne des Bauunternehmens anzupassen, berichtet die Bauherrin: «Wir brauchten nicht so viele Schlafzimmer wie vorgesehen, dafür war uns ein grosszügiger Wohn-/Ess-Bereich wichtig, wo wir mit unseren erwachsenen Kindern oder mit Freunden zusammensitzen können.» Diesen Aspekt fand sie auch für eine etwaige Weitervermietung wichtig. Und sie hatte kein gutes Gefühl beim ursprünglichen Farbkonzept, wie es im Vermarktungsprospekt angedacht war. «Ich bin ein Country Girl und auf einer Farm aufgewachsen. Für mich passte eine komplett schwarz-weisse Einrichtung so gar nicht in die ländliche Umgebung und in die Berge.»
Als Doina Jung und Karin Grossenbacher zusicherten, dass Anpassungen im Grundriss und ein elegant-alpines Materialkonzept kein grösseres Problem seien, unterschrieb die Bauherrschaft den Vertrag, ohne den eigentlichen Ort gesehen zu haben, und begab sich zusammen mit den Designerinnen auf ein Abenteuer. Denn der Planungs- und Realisierungsprozess barg mehr Herausforderungen als gedacht, wie Doina Jung erzählt – denn Saas-Fee ist schlussendlich doch sehr weit von Zürich entfernt: «Brauchte man irgendein zusätzliches Mass, war man auf die Handwerker vor Ort angewiesen, konnte nicht mal eben selbst vorbeigehen.» Das bedeutete manchmal auch, Wartezeiten auszuhalten: Entschleunigung nach Walliser Art.
Auch die Ausführung des Projektes bot manch unerwartete Hürde – nicht nur, weil Saas-Fee autofrei ist und die Bauarbeiten daher besonders gut koordiniert werden mussten; schliesslich können die Handwerker das Material nicht unter dem Arm tragen. Designerin Doina Jung berichtet lachend von einer weiteren Besonderheit: «Das Appartement ist eine Rarität in Saas-Fee, weil es rundherum tapeziert ist.» Irgendwann habe man im Dorf unter den Leuten von der «tapezierten Wohnung» gesprochen, so besonders seien Tapeten dort. Warum das so ist? «Nun, es gibt dort einfach keinen Maler, der auch tapeziert. Drum hat kaum jemand Tapeten.» Die gefragte Fachkraft mit Bürste und Kleister kam schliesslich aus dem angestammten Handwerkerteam der Interior Designerinnen ins Saastal. Für alle anderen Aufgaben seien aber lokale Handwerker zum Einsatz gekommen und man habe mit ihnen sehr gute Erfahrungen machen dürfen, betont Doina Jung, die zum ersten Mal in der Region ein Projekt realisierte.
Heute nutzt die Familie die Wohnung fast jeden Monat für einige Tage und hat begonnen, im Dorf Wurzeln zu schlagen. «Die Menschen sind sehr zugänglich und sie sind sehr geerdet, das macht es uns einfach», sagt die Bauherrin. Sie geniesse es, aus den Dachfenstern auf die Berge oder vom Balkon auf die Skipisten zu schauen. Ihr Mann dagegen habe das Büro im Appartement voll und ganz angenommen und arbeite sehr gern mit Blick auf die Walliser Berge – den erweiterten Möglichkeiten zum Home Office sei Dank. Und mehr und mehr, so sagt sie, fühle sich das Ankommen am Ende der Schweiz jedes Mal wie ein Ankommen zu Hause an.
AL LAGO INTERIORS AG
Text: Barbara Hallmann, Fotos: Katerina Chiu Larenas Zelinger
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 12/22•01/23