Die perfekte Form

Im Herzen der Schweiz, am Südwestufer des Zugersees, kreiert Andreas Reichlin Objekte, bei denen man in den Genuss der perfekten Form kommt.

«Luna Grande» heisst die neuste Variante des Feuerrings, die flach ist, bei vergleichsweise grossem Durchmesser. Sie ist das Segment einer Kugel, wobei Andreas Reichlin die Höhe anhand des Raumes festlegt, in dem das Objekt seinen Platz findet. Foto: Sylvan Müller.
«Luna Grande» heisst die neuste Variante des Feuerrings, die flach ist, bei vergleichsweise grossem Durchmesser. Sie ist das Segment einer Kugel, wobei Andreas Reichlin die Höhe anhand des Raumes festlegt, in dem das Objekt seinen Platz findet. Foto: Sylvan Müller.

Es ging ihm darum, die perfekte Form zu finden: gut und ehrlich gestaltet, auf das Wesentliche reduziert. Mit weniger wollte sich Andreas Reichlin nicht zufrieden geben, als er 2008 anfing, an einer ganz neuen Art des Grillierens zu tüfteln. Denn Fett, das auf glühenden Kohlen verbrennt, verdarb ihm die Freude am Essen – und den Magen. Und so kam der Künstler auf die Idee, sein Können als Stahlbildhauer zu nutzen und ein wohlgeformtes Objekt für den Garten zu entwickeln, auf dem man eben auch sein Grillgut bruzzeln kann.

Alles begann mit einem Stift, denn Andreas Reichlin näherte sich seinem Vorhaben mit der künstlerischen Urform: der Zeichnung. «Mein Vater hat mich gelehrt, mich nicht einfach mit etwas zufrieden zu geben, sondern mich immer wieder zu fragen: Kann ich das nicht noch besser machen?», erzählt er. Also zeichnete er, verwarf wieder, zeichnete neu, diskutierte das Entstandene, verbesserte, reduzierte und fand am Ende, was er suchte: Die perfekte Form für sein neuartiges Grill-Objekt, den Feuerring. Und eine Geschäftsidee, nach der er gar nicht gesucht hatte.

Zuerst fertigte der Stahlbildhauer seine Objekte noch selbst in seinem Atelier in Immensee. Es war seine Lebenspartnerin Beate Hoyer, die als Erste an das Unternehmen glaubte, ihn bestärkte und schon früh den Moment voraussagte, an dem er die Fertigung an andere würde übergeben müssen. Damals konnte Andreas Reichlin sich das nicht vorstellen, bedarf es doch einer makellosen Verbindung zwischen Ring und Schale. Doch der Tag kam. Wenn heute eine neue Form entsteht, wie zuletzt die des «Luna Grande», definiert der Künstler diese zwar noch immer selbst und setzt sie zeichnerisch um, aber die Fertigung musste er längst anderen anvertrauen. Seine Idee ist gross geworden, zu gross für einen allein: Die Feuerringe sind gefragt und stehen sogar in Neuseeland oder im Kongo. Und so werden die Bleche mittlerweile im Thurgau kalt zur Schale gedrückt. Dafür gibt es 15 Formen aus Buchenholz, eine für jedes offizielle Modell. Zur Vollendung gelangt das Feuerobjekt in direkter Nachbarschaft in Küssnacht am Vierwaldstättersee. Hier, in der Isenschmid AG, werden äussere und innere Schale mit dem Ring verschweisst, dann wird das Objekt geschliffen, geprüft und – wie es jedem Original gebührt – mit dem Signet des Urhebers versehen.

Andreas Reichlin wählte einen schlichten Ring, das Zeichen des Ursprungs und der Unendlichkeit, die perfekte Form, ohne zusätzliche Schnörkel. Es entspricht seiner Philosophie, die Dinge derart auf den Punkt zu bringen. «Als Künstler ist mir die Form sehr wichtig», erklärt er. «Sie muss sich einfach richtig anfühlen.» Es brauchte seine Zeit, bis sich dieses Gefühl einstellte. Deshalb sieht Andreas Reichlin die Kopien seines Feuerrings, die mittlerweile bereits vielfach zu finden sind, auch kritisch. «Einerseits ist es ein grosses Kompliment, kopiert zu werden. Es ist die Bestätigung dafür, dass ich etwas wirklich Gutes geschaffen habe. Andererseits werden meine Ideen in Formen verpackt, die ich bereits durchdacht und wieder verworfen habe, weil sie einfach nicht stimmig waren.» Seine absolute Form erreichte der Künstler schliesslich mit Reduktion und Minimalismus, zwei Begriffe, die ihn zur Geometrie der Kugel führten. «Wir arbeiten mit dem Ursprünglichsten, dem Feuer, und verbinden es mit einer ebenso ursprünglichen Form. Deshalb werden die Feuerringe auch Bestand haben und sogar vererbt werden», sagt er überzeugt.

Der Wunsch, etwas bis zur Vollendung zu verfolgen, treibt Andreas und Beate in allen Bereichen ihrer Leidenschaft an. Das kann man an seinen perfekt konstruierten Feuerobjekten sehen, aber auch an der Architektur seines Showrooms, seinen Prospekten oder Kochbüchern. Zu letzteren hat sich erst kürzlich ein zweites Buch gesellt, das sich ganz dem Thema Gemüse widmet. Die Rezepte stammen von Pascal Haag, der bereits für das Hiltl als Rezeptentwickler tätig war und von dem das berühmte Tartar stammt. Die Fotos überliess Andreas Reichlin nicht zum ersten Mal dem Schweizer Sylvan Müller. Und der zeigt nicht die fertigen Gerichte, sondern ihre Entstehung auf dem Feuerring – entsprechend dessen Philosophie in einer wunderbar unaufgeregten, ehrlichen Bildsprache.

FEUERRING

Alles begann mit einem Stift, denn der Stahlbildhauer näherte sich seinem Vorhaben mit der künstlerischen Urform: der Zeichnung. Seit 2009 hat er insgesamt 20 Formen definiert, die im Showroom in Immensee ausgestellt sind. Foto: Sylvan Müller.
Alles begann mit einem Stift, denn der Stahlbildhauer näherte sich seinem Vorhaben mit der künstlerischen Urform: der Zeichnung. Seit 2009 hat er insgesamt 20 Formen definiert, die im Showroom in Immensee ausgestellt sind. Foto: Sylvan Müller.
Zugleich Gaumen- und Augenschmaus ist das neue Kochbuch «Gemüse». Es verbindet die Bildsprache von Feuerring mit der des Schweizer Fotografen Sylvan Müller; die Rezepte entwickelte Vegi-Koch Pascal Haag. Foto: Andreas Reichlin.
Zugleich Gaumen- und Augenschmaus ist das neue Kochbuch «Gemüse». Es verbindet die Bildsprache von Feuerring mit der des Schweizer Fotografen Sylvan Müller; die Rezepte entwickelte Vegi-Koch Pascal Haag. Foto: Andreas Reichlin.

Text: Kirsten Höttermann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 03•04/22

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