Wie gibt man iranischen Teppichen einen vollkommen neuen Look? Francesca Gasparotti und Luca Ferreccio von Designstudio So Far So Near aus Mailand dachten sich, dass man vielleicht dort suchen muss, wo die Zukunft ist – und experimentierten kurzerhand mit verzerrten digitalen Bildern.
Da haben sich zwei gefunden, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch passen sie gut zusammen: Francesca Gasparotti saugte als Kind viel Kunstwissen aus dem Studium ihrer Mutter in sich auf – sie hatte sich erst nach der Trennung vom Vater und sozusagen im zweiten Bildungsweg an einer Akademie eingeschrieben. Die kleine Francesca war beeindruckt und tauchte ins Universum der schönen Künste ein – studierte aus pragmatischen Überlegungen heraus nach der Schule dann aber Wirtschaftswissenschaften. Luca Ferreccio dagegen schrieb sich direkt an der Kunsthochschule ein, arbeitete aber lange Jahre im Dienste von Werbeagenturen – also mit einem stark wirtschaftlichen Fokus. Als die beiden sich fanden, wuchs langsam aber beständig eine neue Idee: Wir machen zusammen etwas ganz Anderes. Wir bringen Kunst und Nachhaltigkeit zusammen. Was das zeigt? Beide sind offen für Experimente aller Art – für das Zusammenbringen von Dingen, die scheinbar nicht zusammen gehören.
Vor zehn Jahren schliesslich wagten sie einen grossen Sprung und gründeten gemeinsam ein Designstudio mit dem Namen So Far So Near. Es gestaltet nicht nur Innenräume, sondern entwickelt auch Designs für Modestoffe und Wohnaccessoires. Und natürlich Teppiche. Und genau die lagen auch so ziemlich am Anfang des Studios, denn seit zehn Jahren arbeiten Francesca Gasparotti und Luca Ferreccio für das Luxus-Teppichlabel Zollanvari, das seine Produkte im Iran in ausgewählten Manufakturen knüpfen lässt.
Vor einiger Zeit bekamen sie den Auftrag, eine weitere Kollektion für das 75-jährige Jubiläum von Zollanvari zu entwickeln. Francesca Gasparotti erinnert sich: «Man sagte uns: Entwickelt etwas für die traditionellen Gabbeh-Teppiche, aber irgendwie mit einem intelligenten Dreh.» Als die Designer begannen, sich mit diesen Teppichen zu beschäftigen – und mit der Art sie zu knüpfen – fiel ihnen schnell auf: Traditionell wurden jegliche Motive auf den Gabbehs sehr grafisch, mit geometrischen, abstrakten Formen dargestellt, teils auch verzerrt. Gabbehs sind sozusagen der Gegenpol zu den weithin bekannten Perserteppichen, auf denen man jeweils kunstvolle Ensembles aus dekorativen Elemente erkennt – seien es nun Bäume, Vögeln, Pflanzen, Blumen oder Vasen. Gabbehs sind ganz anders, sie sind ausdrucksstark ohne figürlich zu sein.
Die verzerrten Formen der traditionellen Gabbehs erinnerten die beiden an einen Trend aus dem Grafikdesign, die Luca Ferreccio während seiner Tätigkeit als Dozent an der Kunsthochschule begegnet sein muss. Er lehrt unter anderem Verpackungsdesign an der Mailänder NABA. In diesem Universum spricht man seit einigen Jahren vermehrt von «Glitch Art». Das sind Kunstwerke, die sich Fehler in digitalen Bildern zum Vorbild nehmen, sie bilden eine Art digitales Rauschen ab. Diese fehlerhaften, zum Teil nicht mehr erkennbaren Bilder nennt man in der Kunstszene «Glitch». Den Begriff lieh man sich aus der Welt der Raumfahrt; zuerst bezeichneten Ingenieure und Astronauten damit Fehlfunktionen von Raketentechnik und Raumschiffen.
Und irgendwie, so ahnten Luca Ferreccio und Francesca Gasparotti, könnten «Glitch Art» und Gabbeh-Teppiche gut zueinander passen. «Wir hatten Lust auf ein Experiment», erzählt Francesca Gasparotti. «Diese Kunstrichtung mit der groben Knüpftechnik der Gabbehs zusammenzubringen, erschien uns unheimlich spannend.» Die Teppich-Profis von Zollanvari konnten die beiden mit ihrem Vorhaben schnell überzeugen – und so entstand «The Glitch Gabbehs Collection».
Die Designer entwickelten dafür mehrere sehr unterschiedliche farbenfrohe Teppiche, die mit der Idee digitaler Fehler spielen und dafür die überlieferten geometrischen Formen der traditionellen Gabbehs verzerren. Damit geht man mit der Zeit – und zwar einer, in der digitale Perfektion Alltag geworden ist. Die Störung – der Glitch – in der oft störungsfrei funktionierenden digitalen Welt wird damit wieder präsent. Francesca Gasparotti gibt zu, dass gerade das Herstellen solcher Störungen eine Herausforderung darstellte: «Es war nicht so einfach, die richtigen Farben an der richtigen Stelle zu platzieren. Im Endeffekt sind viele Flächen einfach nur wie einzelne Pixel», sagt sie. «Das erfordert höchste Präzision.» Zusammenfassend kann man sagen, dass ihnen gelungen ist, was sie sich vorgenommen hatten: Bei aller Perfektion des Handwerks spielen die neuen Teppiche gekonnt mit visuellen Verwerfungen.
Für die beiden Designer bedeutet «The Glitch Gabbehs Collection», dass sie einen echten Meilenstein in Sachen Teppichkunst erreicht haben. Was sie sich als nächstes wünschen, kann Francesca Gasparotti aber auch schon ziemlich genau benennen: «Wir würden gerne in den Iran reisen und dort mit eigenen Augen sehen, wie unsere Teppiche gemacht werden.» Möglich sei das aber wohl erst, wenn sich die politische Situation dort verändert habe, gesteht sie.
SO FAR SO NEAR
ZOLLANVARI
Text: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 12/22•01/23