Jean Prouvés Arbeiten zeigen gestalterischen Eskapaden die kalte Schulter. Mit seiner Un-Liebe zum dekorativen Detail schenkte er Gebrauchsgegenständen eine zeitlose Ästhetik und sich selbst die erste elektrische Schweissmaschine in Nancy.
Jean Prouvé war kein Architekt. Er war kein Designer und auch kein Kunsthandwerker. Jean Prouvé war Konstrukteur. Der gelernte Kunstschmied wächst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Künstlerhaushalt auf: die Mutter Pianistin, der Vater Maler, Bildhauer und Mitbegründer der École de Nancy. Auf eine Jugend mit Stil folgt ein Erwachsensein mit Stahl. Jean Prouvé ist 25 Jahre alt, als er in seiner Werkstatt die erste elektrische Schweissmaschine in Nancy in Betrieb nimmt, um seine Entwürfe auch technisch auf höchstem Niveau umzusetzen. Während die Vertreter des Bauhauses mit Stahlrohr experimentieren, widmet sich Prouvé schon früh der Arbeit mit Stahlblech. Formale Aspekte und Gestaltung sind ihm nicht Einerlei, Ziel seiner Entwürfe ist allerdings immer, Nützlichkeit, Materialgerechtigkeit und Ökonomie mit den komplexen Anforderungen einer Serienproduktion zu vereinen – bei Möbeln und beim Bauen. Noch im Kriegsjahr 1944 präsentiert er das Demountable House aus Holz und Metall, gedacht für die serielle Fertigung und zur Unterbringung der Bevölkerung.
Gestalterische Fragen zu stellen, erschien Prouvé nur dann sinnvoll, wenn sie Kenntnis über die Verwendung des Materials brachten. Denn dieses zu kennen, bedeutete, es nutzen zu können. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war eine schnelle und kostengünstige Herstellung notwendig: industrielle Fertigung, Auslotung von Materialeigenschaften, serielle Produktion. Diese Ziele vor Augen, stellte der Konstrukteur Althergebrachtes in Frage. Nicht aus Lust an der Provokation, sondern aus Liebe zum Fortschritt. Für Zeitgenosse Le Corbusier ist Prouvé «ein geborener Konstrukteur, ein grosser Konstrukteur, [der] wahrhafte Meisterwerke der Technik und Architektur realisiert [hat].»
Lange Zeit ist Prouvé nur BrancheninsiderInnen und SammlerInnen ein Begriff. Bis Vitra im Jahr 2002 beginnt, seine Möbel- und Leuchtenklassiker neu aufzulegen. Stets in enger Zusammenarbeit mit der Familie Prouvés. Diesen Herbst feiern der Lampenschirm «Abat-Jour Conique», die Hocker «No. 307» und «Métallique» sowie das Wandregal «Mural» ihr Comeback, inklusive vier neuer Originale aus der Prouvé-Farbpalette. Der Konstrukteur hatte recht, als er sagte: «Entwirf nie etwas, das nicht hergestellt werden kann.» Nicht in der Zukunft und schon gar nicht in der Gegenwart.
Text: KM
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 12/22 • 01/23