Italienischer Schwung für die Wiener Klassik

Wer hat das Design erfunden? Darauf antwortet Luca Nichetto, der in Italien aufgewachsen ist und in Schweden lebt, ganz überzeugt: Die Österreicher waren's! Im Interview erfuhren wir, woher der Designer diese Überzeugung nimmt und was das alles mit seinem neuen Job als Art Director für die Möbelmanufaktur Wittmann zu tun hat.

Luca Nichetto, Art Director für die Möbelmanufaktur Wittmann.
Luca Nichetto, Art Director für die Möbelmanufaktur Wittmann.

Herr Nichetto, Sie sind seit einiger Zeit Art Director einer Polstermöbelmanufaktur. Wie ist Ihre eigene Geschichte mit Sitzmöbeln?
Ich bin auf der Insel Murano in einer typischen Mittelklassefamilie aufgewachsen. Als meine Eltern heirateten, kauften sie ein Haus und statteten es mit den besten Möbeln aus, die sie sich leisten konnten. So war es Tradition. Sie hatten einen guten Geschmack, aber keine Ahnung von Design. Trotzdem wurde mir beigebracht, diese Objekte zu respektieren – man durfte nicht auf dem Sofa essen oder auf dem Marmortisch sitzen. Als ich dann Design studierte, fand ich heraus, dass ich meine Kindheit mit Möbeln von Oswaldo Borsani und von Afra and Tobia Scarpa verbracht hatte. Meine Mutter hat die Sachen immer noch und sie sind immer noch schön. Vielleicht ist das Sofa mittlerweile ein bisschen durchgesessen, aber das ist auch alles.

Wie kommt man als Italiener, der in Schweden wohnt, an die Aufgabe, die Designabteilung einer österreichischen Möbelmanufaktur zu leiten?
Es ist ganz verrückt: Die erste Möbelmarke, von der ich im Designstudium an der Akademie in Venedig hörte, war Wittmann. Mein damaliger Professor Paolo Piva war zu der Zeit dort Creativ Director. Jahre später sprach mich genau diese Manufaktur an, ob ich nicht eine Kollektion für sie gestalten will. Ich hab mich sehr geehrt gefühlt, weil ich schon durch meinen Freund Jaime Hayon wusste, wie unglaublich gut die Qualität der handwerklichen Arbeit von Wittmann ist. Meine ersten Stücke für Wittmann waren das Sofa «Andes» und der «Paradise Bird»-Sessel. Daraus entstand irgendwann die Anfrage, ob ich nicht als Art Director noch enger mit Wittmann zusammen arbeiten möchte. Meine Aufgabe ist vor allem, die Arbeit der Manufaktur international noch bekannter zu machen.

Ganz ehrlich: Bis vor wenigen Jahren wusste ich nicht allzu viel über Wittmann. Das ist nicht verwunderlich. Denn viele Möbelmarken aus dem deutschsprachigen Raum sehen sich erst seit einiger Zeit stärker einer internationalen Konkurrenz ausgesetzt und müssen eine Entscheidung treffen: Wollen wir wieder ganz klein werden oder lieber wachsen? Mittelgross zu sein geht nicht mehr so gut. Wittmann hat in Sachen Handwerk 2.0 einen unglaublichen Vorsprung, dazu die Rechte an historischen Designs zum Beispiel von Joseph Hoffmann. Das kann man für den internationalen Markt wahnsinnig gut nutzen.

Welche Superpower bringen Sie als hundertfünfzigprozentiger Italiener bei Wittmann ein?
Mein italienisches Temperament hilft mir – und hoffentlich auch dem Familienunternehmen – auch in schwierigen Momenten sozusagen einfach mal zu machen und Krisen nicht so schwer zu nehmen. Ich sage dann immer: «Ihr Österreicher habt mit der Sezession das Design doch erfunden. Adolf Loos und Joseph Hoffmann, das sind doch eure Leute! Die haben Carlo Scarpa, Mies van der Rohe und so viele andere inspiriert. Wer soll denn vorangehen, wenn nicht ihr?»

Inwieweit handelt es sich dabei um ihre ganz persönliche Art, mit Krisen umzugehen?
Natürlich ist das auch durch meine Herkunft bestimmt; in Italien ist die Krise einfach ein Dauerzustand. Wenn wir immer den Kopf in den Sand stecken würden, ginge gar nichts voran. Und ich lebe das wirklich im Alltag. Nehmen wir mal Corona: Während der ganz unsicheren Zeit am Anfang haben zum Beispiel viele DesignerkollegInnen Masken gestaltet. Ich dachte mir, das kann's doch nicht sein, das macht den Leuten doch nur mehr Angst. Ich wollte den Menschen lieber ein Lächeln ins Gesicht zaubern, als es mit einer Maske zu verdecken. Damals haben ja irgendwie viele Leute angefangen zu backen. Also hab ich eine Keksform und einen -stempel gestaltet, die man in einer lokalen 3D-Druckerei ausdrucken lassen kann – und dazu ein Plätzchenrezept meiner Oma aus Murano veröffentlicht. In Krisen muss man das Jetzt sehen: Heute lebe ich. Morgen ist ein anderer Tag.

NICHETTO STUDIO
WITTMANN

Zuletzt erweiterte Luca Nichetto seine Kollektion «Paradis Bird» um einen Sessel mit geschlossenem Rücken. Taschenfederkerne und Daunenfüllungen sorgen für hervorragenden Komfort.
Zuletzt erweiterte Luca Nichetto seine Kollektion «Paradis Bird» um einen Sessel mit geschlossenem Rücken. Taschenfederkerne und Daunenfüllungen sorgen für hervorragenden Komfort.

Interview: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 12/22•01/23

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