50 Jahre totale Entspannung

Manchmal kommt ein Möbel einer Revolution gleich, weil es aus dem Zeitgeist etwas macht, das einfach genau passt. Das war vor fünfzig Jahren der Fall, als die französische Möbelmanufaktur Ligne Roset das Sofa «Togo» vorstellte. Der Entwurf des Bildhauers Michel Ducaroy propagierte eine gänzlich andere Art des Sitzens.

Sitzen? Nun, nicht wirklich! 1973 revolutionierte «Togo» die Art und und Weise, wie man ein Sofa bis dahin kannte.
Sitzen? Nun, nicht wirklich! 1973 revolutionierte «Togo» die Art und und Weise, wie man ein Sofa bis dahin kannte.
Ligne Roset setzt stark auf die Ausbildung von eigenem Nachwuchs für die Näherei und die Polsterei. Jedes «Togo», so sagt man, trägt die Handschrift derjenigen, die es gefertigt haben.
Ligne Roset setzt stark auf die Ausbildung von eigenem Nachwuchs für die Näherei und die Polsterei. Jedes «Togo», so sagt man, trägt die Handschrift derjenigen, die es gefertigt haben.

Die Geschichte beginnt wie viele in der Möbelbranche: Auch bei Ligne Roset wurde aus etwas ganz Kleinem über die Jahrzehnte etwas sehr Grosses. Antoine Roset prägte als Gründer schon das Wesen der Firma. Wenn ein Produkt nicht mehr in die Zeit passt, dann passen wir uns eben an! Begonnen hatte Roset 1860 unter anderem als Fabrikant von Sonnenschirm-Stöcken. Als diese Art des Sonnenschutzes bei den feinen Damen aus der Mode kam, fertigte Antoine Roset fortan kurzerhand Stäbe für die Stuhlfabrikation – und bald darauf ganze Stühle. Nach seinem Tod übernahm seine Frau das Unternehmen, später folgten seine Söhne, Gross- und Ur-Grosskinder. Noch immer ist Ligne Roset in Familienhand. Und noch immer fertigt man im Umkreis von 100 Kilometern um den Ort, wo Antoine Roset einst mit der Stockfabrikation begann.

Dass man Ligne Roset heute in erster Linie mit Polstermöbeln in Verbindung bringt, ist dem Sohn von Gründer Antoine Roset zu danken, der 1936 den ersten mit Leder bezogenen Polsterstuhl fertigte. Nach dem Krieg erweiterte sein Sohn die Fabrikation, denn er wusste, wie gefragt robuste Möbel im modernen skandinavischen Stil gerade für die Nachkriegs-Grossprojekte des neuen Frankreichs waren. Und so verbrachte mancher Franzose seine Schulzeit mit Möbeln von Ligne Roset und manche Französin schrieb ihre Uni-Examensklausuren auf Stuhl und Tisch der gleichen Marke. Dennoch, das Geschäft mit Sofas und Sesseln für Privatkunden gab man bei Ligne Roset nie ganz auf.

Dann passiert etwas Folgenreiches: 1960 lernte der damalige Kopf der Firma, Jean Roset, den Lyoner Bildhauer Michel Ducaroy kennen, der alsbald Teil des Unternehmens wurde. Ducaroy stammt aus einer Familie von Möbelproduzenten; sie hatten sich in den 1920er- und 1930er-Jahren ganz der Produktion von modernem Art-Deco-Mobliliar gewidmet. Der damals 35-jährige Ducaroy mit Abschluss in Bildhauerei revolutionierte in den folgenden Jahren das Sitzen auf dem Sofa. Man denke dafür kurz zurück an die Sofas der 1960er-Jahre, die mit zarten Beinen und geraden Lehnen so geformt waren, dass vor allem Damen recht sittsam darin Platz nehmen konnten.

Wie eine ausgequetschte Zahnpastatube – so soll Michel Ducaroy seinen Entwurf karikiert haben. Er gewann dafür 1973 den renommierten René-Gabriel-Preis auf dem Pariser Salon des Arts Menagers.
Wie eine ausgequetschte Zahnpastatube – so soll Michel Ducaroy seinen Entwurf karikiert haben. Er gewann dafür 1973 den renommierten René-Gabriel-Preis auf dem Pariser Salon des Arts Menagers.

Aber Ducaroy brach bereits 1968 mit dieser Form des Ausruhens. Für das Modell «Adria» kreierte er einzelne Elemente, die sich beliebig kombinieren liessen, direkt auf dem Boden standen und ohne Armlehnen auskamen. Darin aufrecht zu sitzen, war nicht vorgesehen. Mit «Adria» machte Ducaroy aus dem Zeitgeist des «Mai 68» ein Sitzmöbel. Dennoch bekamen seine Gestaltungsideen erst vier Sofas später die volle Aufmerksamkeit. Anfang März 1973 stellt Ligne Roset auf dem «Salon des Arts Ménagers» im Palais de la Défense in Paris sein Sitzmöbel «Togo» aus. Ducaroy selbst soll den Entwurf mit einer ausgequetschten und zusammengefalteten Zahnpastatube verglichen haben. Zuerst ist die Skepsis gross, schliesslich trägt Frankreich das Erbe eleganter Stilmöbel mit sich und die Epoche, in der sie Mode waren, ist nach den jeweilig regierenden Königen benannt. Doch schlussendlich erhält Ducaroy dafür den René-Gabriel-Preis, der Designer für «innovative und demokratische Möbelkonzepte» ehrt.

«Togo» wird zur Ikone, nicht nur exemplarisch für die Sitzmöbel der 1970er-Jahre, sondern auch für Ligne Roset als Möbelfabrikant. Als erstes Vollschaum-Polstermöbel steht es seither für einen legeren, ungezwungenen Lebensstil: Das Lümmeln auf dem Sofa war erfunden. Noch immer wird das Polstermöbel in der Manufaktur in Briord am Ufer der Rhône hergestellt. Und jedes Stück trägt, so sagt man, die einzigartige Handschrift der Näher- und PolsterInnen, die es gefertigt haben.

«Togo» hat seither ein wahres Eigenleben entwickelt, ist zum Beispiel immer wieder Teil der Ausstattung von Hollywood-Produktionen. Ein Beispiel gefällig? «White Lines» von 1998 oder ganz aktuell in der Netflix-Produktion «Spinnenkopf». Aber auch live kann man es vielerorts auf der Welt bewundern, beispielsweise im Foyer des Hotels The Standard in Hollywood und auch im The Jaffa in Tel Aviv. Und wer je das Glück haben sollte, einen Blick in das Pariser Stadtpalais von Lenny Kravitz zu werfen: Auch da ist «Togo» zu Hause.

Zum fünfzigsten Geburtstag macht Ligne Roset seinem Schmuckstück übrigens ein ganz besonderes Geschenk. Das ganze Jahr lang über wird eine Sonderedition mit einem bunten Bezugsstoff der französischen Traditionsmanufaktur Pierre Frey erhältlich sein, gestaltet von der amerikanisch-französischen Künstlerin Heather Chontos.

LIGNE ROSET

Die limitierte Jubiläumsedition von «Togo» wird mit dem Stoff «Toile de Peintre» von Pierre Frey bezogen. Kein «Togo» aus dieser Serie wird dem anderen gleichen.
Die limitierte Jubiläumsedition von «Togo» wird mit dem Stoff «Toile de Peintre» von Pierre Frey bezogen. Kein «Togo» aus dieser Serie wird dem anderen gleichen.
Der damalige Chefdesigner von Ligne Roset, Michel Ducaroy, in der Produktion. Er entwickelte das legendäre Sofa «Togo».
Der damalige Chefdesigner von Ligne Roset, Michel Ducaroy, in der Produktion. Er entwickelte das legendäre Sofa «Togo».

Text: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 05•06/23

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