Manchmal kommt ein Möbel einer Revolution gleich, weil es aus dem Zeitgeist etwas macht, das einfach genau passt. Das war vor fünfzig Jahren der Fall, als die französische Möbelmanufaktur Ligne Roset das Sofa «Togo» vorstellte. Der Entwurf des Bildhauers Michel Ducaroy propagierte eine gänzlich andere Art des Sitzens.
Die Geschichte beginnt wie viele in der Möbelbranche: Auch bei Ligne
Roset wurde aus etwas ganz Kleinem über die Jahrzehnte etwas sehr
Grosses. Antoine Roset prägte als Gründer schon das Wesen der Firma.
Wenn ein Produkt nicht mehr in die Zeit passt, dann passen wir uns eben
an! Begonnen hatte Roset 1860 unter anderem als Fabrikant von
Sonnenschirm-Stöcken. Als diese Art des Sonnenschutzes bei den feinen
Damen aus der Mode kam, fertigte Antoine Roset fortan kurzerhand Stäbe
für die Stuhlfabrikation – und bald darauf ganze Stühle. Nach seinem Tod
übernahm seine Frau das Unternehmen, später folgten seine Söhne, Gross-
und Ur-Grosskinder. Noch immer ist Ligne Roset in Familienhand. Und
noch immer fertigt man im Umkreis von 100 Kilometern um den Ort, wo
Antoine Roset einst mit der Stockfabrikation begann.
Dass man
Ligne Roset heute in erster Linie mit Polstermöbeln in Verbindung
bringt, ist dem Sohn von Gründer Antoine Roset zu danken, der 1936 den
ersten mit Leder bezogenen Polsterstuhl fertigte. Nach dem Krieg
erweiterte sein Sohn die Fabrikation, denn er wusste, wie gefragt
robuste Möbel im modernen skandinavischen Stil gerade für die
Nachkriegs-Grossprojekte des neuen Frankreichs waren. Und so verbrachte
mancher Franzose seine Schulzeit mit Möbeln von Ligne Roset und manche
Französin schrieb ihre Uni-Examensklausuren auf Stuhl und Tisch der
gleichen Marke. Dennoch, das Geschäft mit Sofas und Sesseln für
Privatkunden gab man bei Ligne Roset nie ganz auf.
Dann passiert
etwas Folgenreiches: 1960 lernte der damalige Kopf der Firma, Jean
Roset, den Lyoner Bildhauer Michel Ducaroy kennen, der alsbald Teil des
Unternehmens wurde. Ducaroy stammt aus einer Familie von
Möbelproduzenten; sie hatten sich in den 1920er- und 1930er-Jahren ganz
der Produktion von modernem Art-Deco-Mobliliar gewidmet. Der damals
35-jährige Ducaroy mit Abschluss in Bildhauerei revolutionierte in den
folgenden Jahren das Sitzen auf dem Sofa. Man denke dafür kurz zurück an
die Sofas der 1960er-Jahre, die mit zarten Beinen und geraden Lehnen so
geformt waren, dass vor allem Damen recht sittsam darin Platz nehmen
konnten.
Aber Ducaroy brach bereits 1968 mit dieser Form des Ausruhens. Für das Modell «Adria» kreierte er einzelne Elemente, die sich beliebig kombinieren liessen, direkt auf dem Boden standen und ohne Armlehnen auskamen. Darin aufrecht zu sitzen, war nicht vorgesehen. Mit «Adria» machte Ducaroy aus dem Zeitgeist des «Mai 68» ein Sitzmöbel. Dennoch bekamen seine Gestaltungsideen erst vier Sofas später die volle Aufmerksamkeit. Anfang März 1973 stellt Ligne Roset auf dem «Salon des Arts Ménagers» im Palais de la Défense in Paris sein Sitzmöbel «Togo» aus. Ducaroy selbst soll den Entwurf mit einer ausgequetschten und zusammengefalteten Zahnpastatube verglichen haben. Zuerst ist die Skepsis gross, schliesslich trägt Frankreich das Erbe eleganter Stilmöbel mit sich und die Epoche, in der sie Mode waren, ist nach den jeweilig regierenden Königen benannt. Doch schlussendlich erhält Ducaroy dafür den René-Gabriel-Preis, der Designer für «innovative und demokratische Möbelkonzepte» ehrt.
«Togo» wird zur Ikone, nicht nur exemplarisch für die Sitzmöbel der 1970er-Jahre, sondern auch für Ligne Roset als Möbelfabrikant. Als erstes Vollschaum-Polstermöbel steht es seither für einen legeren, ungezwungenen Lebensstil: Das Lümmeln auf dem Sofa war erfunden. Noch immer wird das Polstermöbel in der Manufaktur in Briord am Ufer der Rhône hergestellt. Und jedes Stück trägt, so sagt man, die einzigartige Handschrift der Näher- und PolsterInnen, die es gefertigt haben.
«Togo» hat seither ein wahres Eigenleben entwickelt, ist zum Beispiel immer wieder Teil der Ausstattung von Hollywood-Produktionen. Ein Beispiel gefällig? «White Lines» von 1998 oder ganz aktuell in der Netflix-Produktion «Spinnenkopf». Aber auch live kann man es vielerorts auf der Welt bewundern, beispielsweise im Foyer des Hotels The Standard in Hollywood und auch im The Jaffa in Tel Aviv. Und wer je das Glück haben sollte, einen Blick in das Pariser Stadtpalais von Lenny Kravitz zu werfen: Auch da ist «Togo» zu Hause.
Zum fünfzigsten Geburtstag macht Ligne Roset seinem Schmuckstück übrigens ein ganz besonderes Geschenk. Das ganze Jahr lang über wird eine Sonderedition mit einem bunten Bezugsstoff der französischen Traditionsmanufaktur Pierre Frey erhältlich sein, gestaltet von der amerikanisch-französischen Künstlerin Heather Chontos.
LIGNE ROSET
Text: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 05•06/23